„Um klar zu sehen genügt oft ein Wechsel des Blickwinkels“ (Saint – Ex)
Auf einmal ist alles anders.
Ich bin ruhig.
Ich darf sie in den Arm nehmen. Beide. Meine Töchter. Ich erlaube mir kaum Emotion.
Nach sechs Jahren das erste Wort an mich. Ihre Mama.
Ich sehe sie an und sie sagt:
„Mama, es tut mir gut keinen Kontakt zu dir zu haben:“
Sie sagt es, und sie sieht mir in die Augen.
Sie sagt es klar, ruhig, ohne Unsicherheit, keine Rechtfertigung folgt, kein Vorwurf liegt in ihrer Stimme.
Ich sehe sie an und verstehe.
Ich spüre mein Herz ruhig schlagen, und ich empfinde endlich wieder Liebe, tief und bedingungslos.
Auf einmal kann ich verstehen. Was mein Kopf längst verstanden hat, was mein Bauch längst geraten hat, verspürt für einen kurzen Zeitraum auch mein Herz.
In mir richtet sich etwas auf, wird sanft und zerfließt. Ich fühle mich für einen Augenblick fast glücklich.
Ich sehe sie an, meine Töchter. Ich weiß, das war der erste Schritt für unsere Begegnung in Freiheit.
Da ist kein Gram, nichts Unausgesprochenes liegt in der Luft, nichts, das geklärt werden müsste belastet den gemeinsamen Raum.
Seither sind fünf Monate vergangen und die Ruhe bleibt.
Wenn ich an sie denke, sehe ich sie im Leben stehend. Ich sehe sie ihren Weg gehen.
Und ich spüre von neuem es ist meine Entscheidung als Mama in ihrem Leben zu bleiben.
Jetzt kann ich loslassen.
Ihre Worte an mich haben mich befreit von Ungewissheit, Schuld, Scham. Die Sehnsucht bleibt. Gut so.
Seither kann ich die Blume am Straßenrand, die mich an sie erinnert, wieder mit Freude betrachten.
Erinnerungen bringen die Blumen, ich sehe mein kleines Mädchen, erinnere mich an eine schöne Zeit. Es tut nicht mehr so weh.
Ich kann ihr ein Foto der Blume schicken und ich weiß, sie wird es bekommen. Vielleicht wird sie lächeln. Ich verbinde keine Erwartung. Etwas hat sich geändert tief in meinem Herzen.
Die Verbundenheit ist wieder spürbar für mich und ist nicht nur ein Wort.
Ich sehe meine Töchter an. Schöne, fröhliche junge Frauen sind sie geworden. Sie gehen ihren Weg.
Und ich bleibe ihre Mama. Ich sehne mich nach Worten, aber ich weiß, sie werden gerade nicht gebraucht. Es ist für mich richtig zu vertrauen.
Heute ist das so. Morgen ist es wieder anders. Ich übe weiter.
GK